Patienten fragen oft: „Wie soll ich mich bewegen? Was ist gesund und daher empfehlenswert?“
Meine Antwort ist stets die, dass man etwas suchen sollte, bei dem der ganze Körper einbezogen wird, bei dem man frei ist von Leistungsdruck (verspannt sonst direkt das Bindegewebe), bei dem man sich möglichst nicht verletzen kann und bei dem am besten noch eine Menge Spaß (gut für´s Bindegewebe!) dabei ist. Nicht empfehle ich Leistungssport aller Art (da der Stress und die Verletzungsanfälligkeit zu hoch sind), aber auch nicht die Dinge, die sonst scheinbar alle empfehlen, wie z.B. Fitness (m.E. falscher Ansatz, da es nicht um Kräftigung geht), Yoga (m.E. meistens falscher Ansatz, da es nicht um Dehnung oder Kräftigung geht und ich viele Yogapatienten habe) oder Fahrradfahren (zu einseitig, wenig Bewegung im Rumpfbereich).
Das schränkt die Auswahl natürlich ziemlich ein und mir und den Fragenden fallen dann so Bewegungsformen ein wie (möglichst freies oder sogar albernes) Tanzen, Spazierengehen, Schwimmen bzw. Planschen, Spielen wie ein Kind (Klettern, Rollen, Springen, Schaukeln etc.) oder ähnliches. An professionellen Methoden gäbe es da noch Feldenkrais, Hanna Somatics oder eben Tai Chi (streng genommen heißt es „T’ai Chi Ch’uan“), meiner Meinung nach der Königsweg aller Bewegungsformen.
Zu meiner Qualifikation: Ich betreibe Tai Chi seit 1993. Ich bin Inhaber des 2.Duans des Ma Tsun Kuen Tai Chi Chuans (und damit der zurzeit höchsten existierenden Graduierung) unter Fernando Chédel, dem weltweit kompetentesten aller mir bekannten Tai Chi Lehrer (und ich kenne sehr viele). Ich leitete in Berlin zehn Jahre lang eine recht erfolgreiche Tai Chi Schule, die bis heute existiert (inzwischen unter der Leitung eines meiner Schüler). Zurzeit leite ich aufgrund meiner beruflichen Eingebundenheit immerhin noch einen kleinen Kurs in Gundelfingen nahe Freiburg (INFO).
Tai Chi hat mich von Beginn an dermaßen fasziniert, weil es auf verschiedenen Ebenen massive positive Auswirkungen auf mein gesamtes Sein hatte: einerseits mental, seelisch und emotional, andererseits körperlich und gesundheitlich, schließlich sogar auch noch sozial und beruflich. Es ist so grandios – wenn man es selbst nicht erlebt hat, ist es schwer zu glauben. Ich hätte es damals auch nicht geglaubt.
Warum nun also Tai Chi? Tai Chi vereint, vorausgesetzt man findet einen qualifizierten Lehrer (was selten ist!), einige optimale Elemente in sich, die man in einer derart geballten Kombination sonst nirgends findet:
- Die Übungen sind körperlich für beinahe jede(n) zu bewerkstelligen, unabhängig von Alter, Geschlecht, Gewicht, Fitnessgrad o.ä. Wenn man einen geeigneten Lehrer findet, achtet dieser sehr auf die individuellen Voraussetzungen und passt die Übungen entsprechend daran an, kein Problem!
- Die Übungen sind physiologisch korrekt, d.h. sie belasten die Gelenke kaum, führen durch die lockere Ausführung zu mehr „Schmiere“ im Gelenk und bewegen den ganzen Körper, ohne ihn wieder zu „verkleben“ und zu verspannen (was bei Sport oft der Fall ist). Die Übungen sind derart konzipiert, dass die Muskeln dabei entspannen und die Sehnen und Bänder dabei gestärkt werden.
- Es wird langsam und konzentriert ausgeführt, was nicht nur zum Stressabbau beiträgt und den Schlaf verbessert, sondern auch die Verletzungswahrscheinlichkeit gegen null gehen lässt.
- Das Ganze findet in der Regel in der Aufrichtung statt, also in der aufrechten Position, was bedeutet, dass man einerseits lernt, sich in der Schwerkraft zu organisieren (gut stehen und gehen) und andererseits die Erfahrungen aus dem Training besser in den Alltag integrieren kann (wo man ja auch aufrecht und selten auf einer Matte ist). Die Fallwahrscheinlichkeit wird drastisch gesenkt, was vor allem für ältere Menschen entscheidend sein kann.
- Die zugrundeliegende Philosophie lehnt jede Art von Leistungsdruck ab, also gibt es hier kein „höher, schneller, weiter“. Eine Wohltat für die Übenden! Der Transfer in den Alltag findet unbemerkt statt und einiges an sonst üblichem Druck kann damit abgemildert werden.
- Glückshormone wie die schmerzlindernden Endorphine oder das beruhigende Wohlfühl-Hormon Oxytocin werden freigesetzt, Cortisol wird reduziert (es tritt bei Stress auf, dämpft das Immunsystem und ist stark für die Gewichtszunahme und verspanntes Bindegewebe verantwortlich), Noradrenalin, Serotonin und Dopamin können reguliert werden.
- Die Atmung vertieft sich beim Tai Chi von allein und löst dadurch eine Kaskade von positiven Effekten aus, wie bspw. Erhöhung des Sauerstoffgehalts im Blut, Regulierung des Blutdrucks, Anregung des Stoffwechsels, des Immunsystems und der Verdauung und vieles mehr.
Das alles (und noch viele weitere Punkte, die ich hier nicht alle aufzählen kann) löst und lockert verspanntes Gewebe und ist damit enorm gesundheitsfördernd. Die traditionell ausgebildeten Chinesen wussten das und haben ihre kränkelnden Kinder gerne schonmal zum Tai Chi Meister in „Kur“ geschickt, und die authentischen Berichte von wundersam anmutenden Heilungen haben zum großen Erfolg dieser uralten und wunderschönen Bewegungsform beigetragen.
Seit einigen Jahren sind diese gesundheitlichen Effekte auch wissenschaftlich untersucht worden, und beinahe jährlich erscheinen nun neue Untersuchungen, die diese Effekte bestätigen. Hier eine kleine Auswahl:
- Studie aus 2017: Tai Chi verbessert Blutdruck, Cholesterin, allgemeine Leistungsfähigeit und Depression
- Tai Chi ist offenbar nicht nur Meditation in Bewegung, sondern auch MediKation in Bewegung!
- Tai Chi hilft am Besten bei Parkinson, neue Studie in rennomierter Fachzeitschrift!
- Viele physiologische Parameter verbesserbar durch Tai Chi
- Sanfte Bewegung sehr gut für ältere Menschen
- Tai Chi ist gut für die psychische Gesundheit
- Tai Chi hilft bei Raucherentwöhnung
- Übersicht verschiedener Studien zu Tai Chi
- Weitere Studien über die Wirkung von Tai Chi
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