Im alten China gab es einen großen Schatz von Erfahrungswissen, dass durch die Behandlung unseliger Patienten und den Austausch der Behandler untereinander erarbeitet wurde. Teilweise floss dieses Wissen auch in die neuere chinesische Medizin ein, wenngleich einiges bereits wieder verloren gegangen ist.
Aufgrund dieses Wissens kamen die damaligen Behandler und Ärzte zu dem Schluss, dass der Mensch mit einem Netzwerk von Verbindungen durchzogen ist, durch die eine Art Energie fließt. Die Chinesen nennen dies „Qi“ oder „Ch’i“ (je nach Schreibweise). Die Beobachtungen ließen schlussfolgern, dass dieses Qi unbedingt durch diese Verbindungen frei fließen muss, damit der Mensch gesund bleibt. Gibt es irgendwo in diesem Netzwerk einen Stau oder eine Blockade, so kommt es zum Ungleichgewicht und zu Krankheiten. Der chinesische Arzt hat dann die Aufgabe, diese Blockaden zu finden und die Verbindungen, die man sich am ehesten wie Schläuche vorstellen kann, wieder zu öffnen, so dass das Qi wieder fließen kann.
In diesem Netzwerk gibt es ein paar Haupt–Autobahnen beziehungsweise Haupt–Schläuche, die man als „Meridiane“ bezeichnet. Diese Meridiane sind im Laufe der Jahrhunderte immer genauer kartographiert worden, so dass die Kenner der Materie wissen, wo genau sie entlang laufen. Verschiedene Meridiane haben verschiedene Aufgaben, Störungen in einem dieser Meridiane haben spezielle negative Effekte. Innerhalb dieser Meridiane gibt es geeignete Zugangspunkte, sozusagen Öffnungen, mit denen man die Meridiane „betreten“ beziehungsweise beeinflussen kann. Das sind die Punkte, die man dann in der Akupunktur benutzt.
Einer meiner alten Kungfu-Lehrer hat mir einmal erzählt, dass die Akupunktur eine relativ neue Kunst der Chinesen sei und man in der alten Zeit gar nicht so viele Nadeln gesetzt, sondern die Meridiane und ihre Punkte eher massiert hätte. Diese Form nennt man Akupressur. Da man damit aber weniger Geld macht (beim Akupunktieren kann man ja viele Patienten gleichzeitig behandeln), sei die Akupunktur erfunden worden. Diese wirke ähnlich wie die Massage, allerdings sei die Massage vom Effekt her den Nadeln überlegen. Ob die Geschichte wirklich stimmt, kann ich nicht beurteilen, wohl aber den Effekt. Allerdings ist mein Eindruck, den ich in den letzten Jahrzehnten gewonnen habe, der, dass die Akupunktur bei bestimmten Krankheitsbildern auch sehr sinnvoll sein kann. Viele Menschen haben aber regelrecht eine Abscheu vor Nadeln, und für diese ist wahrscheinlich die massierende Form deutlich angenehmer.
Neben der traditionellen Akupressur hat sich dann – vor allem aus Japan stammend – die Meridianmassage entwickelt, wobei ein bekannterer Vertreter dieser Methode das japanische Shiatsu ist. Diese in vielen Fällen sehr effektive Behandlungsmethode geht die Meridiane massierend entlang und versucht auf diese Weise den Fluss wieder anzuregen und ins Gleichgewicht zu bringen.
Traditionell gab es neben der Akkupressur/Akupunktur auch noch eine Reihe weiterer Verfahren, die das Qi wieder zum fließen und die Blockaden beseitigen sollen. Hierzu gehören insbesondere das chinesische T’ai Chi Ch’uan (taijiquan), dass Qigong (Ch’i Kung), heißes Schröpfen, sowie bestimmte Diäten und Kräuter.
Ich selbst habe jahrelang nicht so richtig an all das geglaubt und hielt das ganze für aufgeblasene Esoterik. In der Zwischenzeit habe ich allerdings ein paar Erfahrungen gesammelt, die mich nun an meinem eigenen Zweifel zweifeln ließen. So habe ich Verbindungen in meinem Körper wahrgenommen, die interessanterweise genau entlang der Meridiane verliefen, wie ich hinterher (!) an Meridian-Karten nachschauen konnte. Was mich als naturwissenschaftlich denkender Mensch später noch mehr an das Wissen der alten Chinesen hat glauben lassen, ist meine Kenntnis über das System des Bindegewebes beziehungsweise der Faszien. Hier ist es nämlich auch so, dass weit entfernte Teile des Körpers mit anderen weit entfernten Teilen verbunden sein können. Diese Verbindungen stehen in keinem Anatomiebuch und sind daher für die westliche Medizin unerklärlich. Aber mit unerklärlichen Beschwerden arbeite ich ja jeden Tag, und dabei finde ich auch Verbindungen, die bislang niemand gefunden hat, und zwar regelmäßig. Was mich ebenfalls fasziniert an dem Thema, ist die Tatsache, dass die Faszienforschung zum Teil herausgefunden hat, dass das System der Faszien, dass ja ebenfalls netzwerkartig im gesamten Körper verteilt ist, scheinbar auch eine Art Zugangspforten hat, ähnlich wie Löcher, wo das Bindegewebe anders organisiert ist als im umliegenden Gewebe. Und das Spannende daran ist, dass diese Löcher ziemlich exakt mit den Akupunkturpunkten auf den Meridianen übereinstimmen. Möglicherweise liegt hier die zukünftige Möglichkeit, das östliche und das westliche medizinische Wissen miteinander zu verbinden.